Richtige Glaswahl

Gläser machen Getränke. Der gleiche Wein riecht und schmeckt aus einem bauchigen Glas anders als aus einem zylindrisch geformten. Aus einem falsch gewählten Glas trinkt sich guter Wein schlecht. Für jeden Weintyp gibt es eine Glasform, die Bukett und Geschmack optimal zur Geltung kommen lässt.

 

Es ist ausgeschlossen, dass ein grosser roter Burgunder aus einem schmalen Glas schmeckt. Genauso genussmordend wäre es, einen 1975er Dom Perignon aus der Sektflöte oder einen grandiosen Bordeaux wie beispielsweise den 1959er Chateau LafiteRothschild aus dem weitbauchigen Burgunderglas zu trinken. Niemand weiss, wer erstmals Wein aus Glas getrunken hat. Das älteste gläserne Stück, gefunden in Ägypten, soll 7500 Jahre alt sein. Zwischen diesem Relikt und Weinkelchen der Gegenwart spannt sich die Glaskunst als wichtiger Teil der Tafelkultur in einem breiten Bogen vom Protzentum der alten Römer über die Formvielfalt der Renaissance, die Lust am Vergolden im Rokkoko und dem floralen Schmuck des Jugendstils bis zur schlichten Sachlichkeit der Moderne. Schnörkel sind auf dem elegant gedeckten Tisch der Gegenwart ebenso verpönt wie der nur auf den Ernst der Linie bedachte Stil à la Bauhaus, dem die Form alles und der Zweck wenig war. Das zeitgemässe Glas vereint zwei Eigenschaften harmonisch: Ästhetik und Funktion.

 

Ein Mann, der nach eigener Aussage «Glas im Blut» hat, was freilich nicht wundert, denn Georg J. Riedel ist Glasmacher in der zehnten Generation, bringt das Thema auf den Punkt: «Das Leben ist kurz, um guten Wein aus schlechten Gläsern zu trinken.» Wenn der formverliebte Chef der Kufsteiner Manufaktur über Gläser spricht, notabene die eigenen, bekommt seine Stimme einen missionarischen Schmelz. Dann wird sein Kampfblick milde, gerät er in Fahrt, doziert er: «Unser Gläser runden eventuelle Ecken und Kanten des Weins, sie lassen ihn weicher erscheinen, doch lüpfen sie unbarmherzig jede Schwäche eines mittel- mässigen Gewächses.» Plötzlich entschlüpft ihm sogar ein Satz wie dieser: «Wir wollen mit unseren Gläsern die Sonne im Wein zeigen.»

 

Glas sei für Riedel keine Religion, sondern ein Werkzeug. Das ist eine mit Richtlinienwert. Die in Weinzirkeln oft entflammte Diskussion um das rechte Glas birgt fraglos das Risiko, dass sie in akademische Höhe abhebt, sich auch ins Prätentiöse zerfasert. Aber unbestreitbar bleibt, dass es bei einem so reich nuancierten Stoffe wie dem Wein vom Glas abhängt, ob die Aromen ideal zur Geltung gebracht werden.

 

Für jeden Weintyp gibt es eine dazu passende Glasform. Junge, spritzige Weissweine und Rosés trinken sich gut aus einem schlanken, tulpenförmig verlaufenden Glas. Das Schmale betont den rassigen Charakter. Ausgereifte sowie vollmundige und auch edelsüsse Weissweine entfalten ihre markanten Fruchttöne am besten in leicht bauchig gerundetem Glas. Für die vielschichtige Aromatik der Rotweine aus Bordeaux, der Toskana und dem Rioja ist die längliche Eiform ideal. Rote vom Typ Burgunder und Barolo mit ihrem reichen Duftspiel und dem opulenten Körper bedürfen wiederum eines runden, bauchigen Glases, das die Fruchtakkorde erst sammelt und dann freigibt. Champagner perlt am schönsten im hoch geformten Tulpenglas mit distinguiert gerundeter bauchiger Mitte; Schalengläser sind nur für süsse Schaumweine wie Asti geeignet.

 

Gläser sind des Weines wichtigster Partner. Von ihrer Form sowie ihrer Beschaffenheit hängt es ab, wie gut sich sein Charakter zu entfalten vermag.